Frithjof Bergmanns New Work per Gesetz?

Eine Gegenrede zu „New Work: Frithjof Bergmanns Utopie in der Praxis“ vom 22.10.2021 von Markus Väth (https://tinyurl.com/yxz3s9c9 )

Wenn ich zurückdenke an den Beginn meiner beruflichen Laufbahn und an die ersten Gehversuche als junge Führungskraft, dann glaube ich, dass ich schon immer ein Anhänger dessen war, was man heute mit Teilhabe, Commitment, Partizipation, Selbstverantwortung und ähnlichen Konzepten beschrieb. Man muss allerdings vorsichtig in der Beurteilung der eigenen Führungseigenschaften sein, um nicht der großartigen Leistung des Hirns zu erliegen, das mitunter selektiv erinnert:

„Rudern zwei ein Boot, der eine kundig der Sterne,

der andere kundig der Stürme,

wird der eine führn durch die Sterne,

wird der andere führn durch die Stürme,

und am Ende ganz am Ende

wird das Meer in der Erinnerung blau sein.“

(aus: Die wunderbaren Jahre von Reiner Kunze)

Im Laufe von über 40 Jahren an Berufs- und Führungserfahrung habe ich so manche Meinung geändert, andere Meinungen haben sich verfestigt, inzwischen untermauert von Erfahrungen, Studien und anderem Faktenwissen.

Es ist mir auch durchaus bewusst, dass es auch im Management aus Marketinggründen gewisse „Moden“ gibt, die kommen und gehen. Viele davon ohne großen Nutzen zu stiften, die meisten auch ohne großen Schaden anzurichten.

Einen Begriff finde ich dabei besonders schillernd: New Work. Er ist so herrlich ungenau, dass man alles und jedes darunter subsumieren kann. Und hier setzt meine Gegenrede zum o.a. Artikel an. „Homeoffice und mobiles Arbeiten? Ist New Work. Digitalisierung und Innovation? Auch New Work. Flexible Arbeitszeiten? Sowieso New Work“, so der Autor Väth.

Ich finde es großartig, wenn gesellschaftliche Veränderungen, auch wenn sie durch eine Pandemie wie durch einen „Brandbeschleuniger“ angestoßen werden, sich auch in Änderungen der Arbeitswelt niederschlagen. Das gleiche gilt für Änderungen, die durch die Digitalisierung überhaupt erst möglich wurden.  Ich nenne das schlicht und ergreifend Fortschritt und der ist auch gut so. Andere etikettieren es als New Work – auch gut.

Was mich allerdings zu dieser Gegenrede inspirierte, war die große Keule, die folgte: New Work als Gegenmodell zum kapitalistisch geprägten Arbeitsmodell.

New Work – Utopie ohne Praxis

Väth skizziert in der Folge in aller Kürze Bergmanns Vision:

  • Zwei bis drei Tage pro Woche sollten der Lohnarbeit vorbehalten sein.
  • Die übrigen Tage könnten Tätigkeiten gewidmet werden, die ein Mensch eben „wirklich, wirklich will“ und die seinen Stärken und Bedürfnissen entsprechen – ruhig auch abseits der normalen, bezahlten Arbeitswelt. Das könne Bürgerarbeit sein, ein künstlerisches Hobby oder ehrenamtliches Engagement.
  • Das funktioniere nur mit dem dritten Teil des Bergmannschen Gesellschaftsmodells: smart consumption oder „Wirtschaft des minimalen Kaufens“ – letztlich eine Einschränkung des Konsums also.

Dass sich dieses Modell in der Empirie nicht an einem einzigen Ort auf dieser Erde als nachhaltig erfolgreich bewährt hat – weder in dem in den 1980er Jahren gegründeten Center for New Work bei General Motors in Flint/ Michigan noch in den vermeintlich existierenden weiteren Zentren in verschiedenen Ländern – sei hier nur am Rande erwähnt. Väth ist das alles keine Silbe wert.

Schon ein wenig lustig ist es, wenn Väth die kalifornische Outdoor- und Bergsportfirma Patagonia als Beispiel schildert, die mit ihrer Initiative „Reparieren statt Wegwerfen“ das Wirtschaftskonzept des minimalen Kaufens von Frithjof Bergmann unterstütze:

„In Nordamerika können die Besitzer von gut erhaltener Patagonia-Bekleidung ihre gebrauchten Jacken und Hosen an Patagonia zurück verkaufen. ….. Die erste Frage sollte daher nicht sein „Wo bekomme ich ein neues Produkt?“, sondern „Wie lässt sich das denn reparieren?“.  Mit diesem Arbeitsmodell versucht die kalifornische Outdoorfirma das bergmannsche Konzept der smart consumption praktisch umzusetzen.“

Reparieren statt neu kaufen finde ich großartig. Ist das nicht ein Teil des Geschäftsmodells aller Schneider*innen, Schuster, Second-Hand-Läden u.a. seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten? Und das ist nun also New Work?

Unternehmerische Freiheit vs. Staatliche Eingriffe

Nicht mehr ganz so lustig wird es aber, wenn New Work mit Hilfe von Mitteln eingeführt werden soll, die mich irgendwie an Cancel Culture und deren Spielarten erinnern.

„Die meisten Unternehmen versuchen „New Work“ zu integrieren, ohne das System insgesamt in Frage zu stellen. Im Grunde sind viele nicht bereit, entscheidende Änderungen vorzunehmen. Doch ein „weiter so“ wird es jedenfalls nicht mehr lange geben.“

Anstatt jetzt aber mit starken, wissenschaftlich fundierten Argumenten das Ende des Status Quo einzuläuten – womit man sich gut auseinandersetzen könnte -, folgt der Ruf nach dem Staat, der es richten soll:

„Wie lässt sich echtes New Work in Unternehmen implementieren? Wenn überhaupt, gelingt das durch Konzepte wie die Gemeinwohlökonomie, die das Wachstumsdogma in Frage stellen…… Für Politik heißt das, gesetzliche Leitplanken zu setzen: Wir brauchen einen Rechtsrahmen in der Arbeitswelt, der es Menschen überhaupt erlaubt, neue Arbeitsverhältnisse zu gestalten. Wir brauchen die 30-Stunden-Woche als neue Vollzeitnorm.“

So einfach kann es sein: Wenn man schon keine gute Argumente ins Feld führen kann, dann muss man umso lauter nach dem Staat rufen. Woher nur kommt in Deutschland diese unerschütterliche Staatsgläubigkeit?

Zentrale Werte der „Neuen Arbeit“ waren für Bergmann Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Gemeinschaft.

Für Väth lauten die fünf Prinzipien von New Work-Unternehmen

1. Freiheit

2. Selbstverantwortung

3. Sinn

4. Entwicklung

5. Soziale Verantwortung

Um nicht falsch verstanden zu werden: inhaltlich teile ich die Prinzipien der New Work Charta zu nahezu 100%. Geradezu absurd finde ich es jedoch, wenn man sich einerseits auf Freiheit und Selbstverantwortung beruft, um gleich unverhohlen nach dem Staat zu rufen, wenn niemand freiwillig dem vielleicht doch nicht so überzeugenden Systemwechsel folgen mag:

„Und wir brauchen Unternehmen, die aus dem alten System des rein quantitativen Wachstums aussteigen und sich öffnen für neue Methoden wie zum Beispiel eine neue Art von Bilanzierung. …… Um den Gap zwischen der trockenen Theorie und Praxis zu schließen, brauchen wir konkrete politische Gesetze und Rahmenbedingungen sowie frischgebackene Pionierunternehmen, die New Work tatsächlich durchsetzen. Und da stehen wir noch ganz am Anfang.“

Kämpfen Sie für Ihre lobenswerte Vision, Herr Väth. Suchen und begleiten Sie die Pionierunternehmen, die sich Ihren New Work Grundsätzen verschreiben. Aber verschonen Sie uns mit dem Ruf nach noch mehr staatlichen Eingriffen zur Durchsetzung einer New-Work-Sozial-Utopie, für deren nachhaltigen Erfolg es keinen einzigen empirischen Beleg gibt.

Zusammenfassung

Seit den 1940er Jahren, entwickelte William Edwards Deming die prozessorientierte Sicht auf die Tätigkeiten eines Unternehmens, die später auch Eingang in die diversen Qualitätsnormen und Qualitätsmanagementlehren fand. Deming war ein US-amerikanischer Physiker, Statistiker sowie Pionier im Bereich des Qualitätsmanagements. Seine grundlegenden Gedanken wurden in der Folge in TQM-Modelle und Wettbewerbe weltweit übernommen (z.B. Malcolm Baldrige Award in den USA, europäische und nationale Awards auf der Basis des EFQM-Modells). Allen Modellen ist gemein, dass sie einem Stakeholder-orientierten Ansatz und im Rahmen jährlicher (Self-) Assessments dem Deming’schen PDCA-Zyklus der kontinuierlichen Verbesserung folgen. Auf diese Art und Weise ist es ein Leichtes, die New Work Prinzipien einzuführen, wenn das Unternehmen dies für die eigene Geschäftstätigkeit für notwendig und sinnvoll erachtet. Viele Unternehmen tuen das schon seit Jahren mit großem Erfolg. Das inkludiert auch den einen oder anderen Ansatz von „New Work“ einschließlich der Gemeinwohlökonomie. Weil es „Sinn macht“ und der sozialen Verantwortung entspricht, nicht weil es staatlich verordnet ist.

Zum Ende kommen möchte ich mit einem Zitat von Prof. Dr. Stöger, der in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Organisationsentwicklung zu „organisationalen Silos“ geschrieben hat. Man kann es m.E. gut auf die New Work-Diskussion übertragen:

„Etwas überzeichnet lautet die moderne Alternative zum Silo wie folgt: Transformationales Leadership coacht und changt in Echtzeit purpose-agile, fluide Scrum-Prozesse und Fusion-Skills für disruptive, ambidextrische Business Models in der Customer Journey-gelinkten Holacracy.

Die Wirtschaftswissenschaften müssen immer kritisch prüfen, ob neue Begriffe mehr Klarheit, Erkenntnis und daher mehr Umsetzungsbezug herstellen. Wenn der Schritt zur substanziellen Lösung fehlt, entsteht nicht Fortschritt, sondern Verschlimmbesserung. Dies hilft weder der Wissenschaft noch der Praxis.“

Ein – wie ich meine – gutes Schlusswort.

■ Michael Kohlhaas


Verwendete Literatur

  • Malorny, Christian (1999). TQM umsetzen. 2. Auflage. Stuttgart: Schäffer Poeschel Verlag
  • Kudernatsch , Daniela (2019). Hoshin Kanri Policy Deployment durch agile Strategieumsetzung. 2. Auflage. Stuttgart: Schäffer Poeschel Verlag
  • Stöger, R. (2021). Lob dem Silo – Zur Verteidigung einer Institution. OrganisationsEntwicklung Nr. 3|2021, S. 73

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