„Autos kann man nicht von innen anschieben“. So las ich es dieser Tage in einem Post in einem der sozialen Netzwerk. Anstöße und solche „Anschieber“ kommen oft erst von außen, wenn man die eigene Position hinterfragt. Warum ist das so? Weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist, was Segen und Fluch zugleich ist. Die Bildung von Gewohnheiten ist einerseits das Ergebnis von Lernprozessen. Wenn die Gewohnheiten aber einmal etabliert sind, dann verhindern sie oftmals neues Lernen. Das ist der Grund, warum (Selbst-) Reflektion als eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Entwicklung nicht nur von Führungskräften gesehen wird.
Was das mit Facilitation und Coaching zu tun hat? Eine ganze Menge.
Menschen haben einen hartnäckigen Hang zum Bewährten. Wie gesagt, er vereinfacht das Leben, verhindert aber auch Anpassungen an neue Umstände.
In der FASZ vom 11.03.2013 fand ich in der Rubrik „Denkfehler, die uns Geld kosten“ einen wunderbaren Artikel zu diesem Thema mit der Überschrift „Wie es war im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit“.
Darin erzählt der Autor des Artikels, Hanno Beck, einleitend die Geschichte von “Amerikas bester Hausfrau“ wird sie bisweilen genannt werde, und über die Geschichten kursieren: Jahrelang, so heißt es, habe Martha Stewart, eine im amerikanischen Fernsehen durch Kochrezepte und Haushaltstipps zur Ikone avancierte Ratgeberin, bei ihrem Weihnachtsschinken die beiden Enden abgeschnitten – weil schon ihre Mutter das immer so machte. Eines Tages soll die Tochter der besten amerikanischen Hausfrau gefragt haben, warum sie das denn tue – welcher Sinn sich denn hinter diesem Ritual verberge. Die Enden hätten perfekt ausgesehen, so dass es aus kulinarischer Perspektive keinen Grund gegeben habe, sie wegzuschneiden.
Verblüfft über die Frage und den Scharfsinn ihrer Tochter, rief Martha Stewart ihre Mutter an und fragte, warum sie denn eigentlich die Enden des Schinkens immer abgeschnitten habe, und die Antwort der Mutter war verblüffend: als Martha selbst noch ein kleines Mädchen war, hatte ihre Mutter nur Pfannen, die zu klein waren für den typischen Weihnachtsschinken, deswegen schnitt sie immer die Enden ab. Bedenkt man, dass Amerikas beste Hausfrau ein ganz anderes Arsenal an Pfannen ihr Eigen nennt als ihre Mutter vor vielen Jahren, ist klar, dass es komplett überflüssig und nutzlos war, die Enden des Weihnachtsschinkens abzuschneiden.
Psychologen nennen dieses Verhalten Status-quo-Bias, was man am besten mit dem Satz „Ich will so bleiben, wie ich bin“ übersetzen könnte. Vereinfacht gesagt: Wir tun irgendwann das, was wir immer tun, ohne es zu hinterfragen. Wenn Menschen wählen können zwischen dem bestehenden Zustand und einer Veränderung, so bevorzugen sie häufig den bestehenden Zustand, den man Status quo nennt. Mit Beispielen zu diesem Verhalten kann man ganze Regale mit Büchern füllen: Man wechselt nicht den Mobilfunkanbieter, die Bank oder den Lieferanten von Wasser oder Strom, man nimmt immer den gleichen Weg zur Arbeit, isst das gleiche Stamm-Menü, wählt die gleiche Freizeitgestaltung oder wechselt nicht den Job. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, er liebt es, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Und so wie Martha Stewart hinterfragt er irgendwann nicht mehr den Sinn dieser Routinen.
Auch Unternehmen tappen in die Gewohnheitsfalle: Sie halten an einmal getroffenen Entscheidungen und Prozessen fest und richten ihre Geschäftspolitik an dem aus, was sie in der Vergangenheit gemacht haben. Allerdings hat jedes Verhalten seine Konsequenzen: „Wer nur das tut, was er schon immer getan hat, wird auch nur das ernten, was er schon immer geerntet hat.“
Und so kann man mit Büchern zum Thema „Change Management“ ebenfalls ganze Regale füllen, bei denen es im Kern um das gleiche Phänomen geht: wie kann ich das Beharrungsvermögen der Mitarbeiter und ihre Widerstände überwinden?
Über die Ursache dieses Verhaltens lässt sich streiten, hier gibt es viele Erklärungsansätze. Zum einen könnte es die Angst der Menschen vor Verlusten sein; das Bestehende wird als Besitz empfunden, den man verliert, wenn man ihn gegen etwas Neues eintauscht – also bleibt man beim Altbewährten.
Eine weitere Erklärungsmöglichkeit ist die Furcht der Menschen vor Reue: wenn man eine Entscheidung trifft, berücksichtigt man die mögliche Reue, die man empfinden könnte, wenn die Entscheidung sich als falsch entpuppt – und die Furcht vor dieser Reue führt dazu, dass man lieber nichts tut.
Aber es steckt durchaus auch Weisheit in dem Wunsch, so zu bleiben, wie man ist: Studien zeigen, dass die Vorliebe für den Status quo umso größer wird, je komplexer eine Entscheidungssituation ist. Soll heißen: Je schwieriger eine Entscheidung ist, je unsicherer ihr Ausgang, desto mehr greift man auf das zurück, was sich bewährt hat – „Never change a winning team“, sagt der Volksmund dazu. Und in vielen Fällen hat er auch recht: Bisweilen ist es zu teuer, zu wechseln, die Kosten der Entscheidungsfindung können zu hoch sein, genauso wie das Risiko, dass man sich falsch entscheidet. Insofern hat der Status-quo-Bias eine positive bewahrende Funktion, er sorgt dafür, dass wir nicht beim kleinsten Anlass alles Bewährte über Bord werfen. Es ist also nicht grundsätzlich falsch, ein Gewohnheitstier zu sein – solange unsere Vorliebe für das, was ist, nicht zu sehr überhandnimmt.
Den Fesseln der Gewohnheit entkommen
„Von Natur aus sind die Menschen fast gleich; erst die Gewohnheiten entfernen sie voneinander“. (Konfuzius)
All das Beschriebene gilt natürlich auch für unser Verhalten als Führungskraft. Aber auch wenn der Mensch ein „Gewohnheitstier“ ist, dann bedeutet das nicht, dass man Gewohnheiten nicht verändern könnte.
Am einfachsten vielleicht, indem man sich die Veränderung selbst zur Gewohnheit macht: Wer jeden Tag eine Kleinigkeit in seinem Leben anders macht, gewöhnt sich eher an den Gedanken, auch einmal die großen Dinge zu verändern. Also: Man nimmt mal einen anderen Weg zur Arbeit, probiert mal ein anderes Geschäft aus, wechselt mal die Marke oder das Produkt, probiert einmal unbekannte, neue Dinge. Und wer weiß – vielleicht wird aus der neuen Erfahrung auch bald eine neue, bessere Gewohnheit.
Oder aber man macht es wie Martha Stewart: sie holte sich „externe“ Hilfe, um ihren „blinden Fleck“ überhaupt erst erkennen zu können.
Wie gezeigt, gehen manche Verhaltensweisen im Laufe der Jahre so in Fleisch und Blut über, dass sie nicht mehr hinterfragt werden, sie sind weder bewußt noch bewußtseinspflichtig. Damit fehlt eine wesentliche Voraussetzung für eine gegebenenfalls wünschenswerte Verhaltensänderung: eben dieses Bewusstsein. Und zwar Bewusstsein nicht nur für die Notwendigkeit einer Änderung, sondern auch für das Verhalten selbst: wir sprechen vom so genannten „blinden Fleck“.
Die amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham haben bereits Mitte der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein „Fenster“ bewusster und unbewusster Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale entwickelt, das sogenannte Johari-Fenster. Die Vornamen der beiden wurden für die Namensgebung herangezogen. Mit Hilfe des Johari-Fensters wird vor allem der „blinde Fleck“ im Selbstbild eines Menschen illustriert.
Es spielt in der gruppendynamischen Arbeit seit den 1960/70er Jahren eine bedeutsame Rolle zur Demonstration der Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung und gehört zum Standardrepertoire gruppendynamischer Modelle und Verfahren der Persönlichkeitsentwicklung.
Um aber über Jahre eingeübtes (Führungs-) Verhalten nachhaltig zu verändern, reicht die simple Erkenntnis über die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit solcher Veränderungen nicht aus. Es benötigt die Umsetzungsbegleitung durch externes Facilitating in der Gruppe oder gegebenenfalls Coaching der einzelnen Führungskraft.
Nur auf diese Weise werden die Prozesse der Verhaltensänderung begleitet, bis eine neue, zielführendere Gewohnheit etabliert und hinreichend stabil ist.
Dies erklärt auch den höheren Umsetzungserfolg dieser Art von Führungskräfteentwicklungsmaßnahmen gegenüber dem klassischen Trainingsansatz.
Herzliche Grüße und viel Freude bei der Umsetzung
Ihr
Michael Kohlhaas