„Jetzt reichts! Langsam, bürokratisch, keine Ahnung vom Geschäft“, das ist der Aufmacher des aktuellen Harvard Business manager mit dem Schwerpunkt Human Resources.
Das HR-Bashing nimmt offenbar kein Ende. Es geht nicht um die Lohn- und Gehaltsabrechnung und andere administrative, zum Teil gesetzlich vorgeschriebene Aktivitäten. Es geht vielmehr um den wertsichernden Aspekt der HR-Funktion, also der Personal- und Organisationsentwicklung im weiteren Sinne.
Wo liegt eigentlich das Problem?
Ich möchte dazu drei einleitende Sätze aus diesem Aufsatz zitieren: „Die Personalabteilung zwingt uns lästige Aufgaben auf, zum Beispiel Probleme mit Beschäftigten zu dokumentieren. Sie hält uns auf der anderen Seite davon ab, Dinge so zu machen, wie wir sie für richtig halten – zum Beispiel jemanden einzustellen, von dem wir „einfach wissen“, dass er der Richtige ist. Wenn wir gesagt bekommen, dass wir unseren Umgang mit anderen – vor allem mit unseren Mitarbeitern – verbessern müssen, gehen wir in die Defensive, denn diese Kritik trifft uns in unserem Selbstverständnis.“
Liegt hier das Problem? Gehen Führungskräfte dann in die Defensive, wenn jemand ihren gott-ähnlichen Status in Frage stellt?
Woher kommt die göttliche Einsicht des „Einfach Wissens“ bei der Personaleinstellung? Vergessen wir einfach all die validen Instrumente der Eignungsdiagnostik und vertrauen darauf, dass die einstellenden Führungskräfte schon „einfach wissen“ was sie tun. Wie kann HR uns da schon helfen. Es reicht völlig aus, wenn die für uns den lästigen Formularkram erledigen.
Bei der Dokumentation bei Mitarbeiterproblemen fiel mir ganz spontan ein Vorfall aus meiner Geschäftsführertätigkeit in der Papierfabrik in Hagen ein, der sich tatsächlich so ereignet hat. Bei einer meiner wöchentlichen Rücksprachen mit der Personalleiterin (nennen wir sie hier Renate) erzählte sie mir von einer Begegnung mit einer unserer Führungskräfte, die sie dieser Tage hatte. „So, Renate, jetzt reicht’s mir mit dem Meier (Name ebenfalls geändert). Seit Jahren ärgere ich mich dem rum, jetzt ist das Maß voll. Den musst Du rausschmeißen.“ Renate ist eine sehr erfahrene Personalerin und sie bat den aufgebrachten Kollegen, sich doch erst mal zu beruhigen und Platz zu nehmen. Sie bot ihm eine Tasse Kaffee an und bat ihn, ihr zu berichten, worum es eigentlich gehe. Und so erzählte die Führungskraft von allerlei Anekdoten und Schoten, die Meier in den vergangenen Jahren angeblich so gerissen hat. Nach dem jüngsten Vorfall sei das Maß nun aber voll. „Der Meier muss jetzt weg!“, so war die Sache für die Führungskraft glasklar.
„Nun gut“, resümierte Renate, „jetzt schauen wir doch einfach mal in Meier’s Personalakte und dann werden wir mal schauen, was wir denn so machen können.“ Und siehe da: die Personalakte war blitzblank, kein kritischer Aktenvermerk, keine Abmahnung, nichts! Im Gegenteil: die jährlichen Mitarbeitergespräche waren voll des Lobes über Meier, kein kritisches Wort, nichts von alledem, was die Führungskraft soeben im Zustand höchster Erregung geäußert hat.
Derart vorbereitet lässt sich jede Kündigung natürlich bestens begründen und jeder Arbeitsrichter wird begeistert sein. Renate zieht einfach vor das Arbeitsgericht und überzeugt den Arbeitsrichter davon, dass er sich mit den lästigen dokumentierten Gründen nicht so haben soll. Oder noch besser: vielleicht sollte die Führungskraft selbst die eigenen Fälle vor Gericht vertreten. Sie ist ja am nächsten dran am Geschehen. Natürlich nur, wenn es der Führungskraft genehm ist und nicht als unangemessene bürokratische Pflichtübung empfunden wird.
Und zuletzt zu unserem Umgang mit unseren Mitarbeitern. Und jetzt reicht es aber wirklich, liebe HR-Kollegen. Denn nun geht es an unser Selbstverständnis, an unsere Ehre!
Es ist völlig gleichgültig, wenn Mitarbeiter sich schlecht behandelt fühlen. Mitarbeiter bringen doch maschinengleich und völlig unabhängig von der Behandlung durch die Führungskraft immer hohen Output. Innere Kündigung und daraus resultierende Schlechtleistung? Nie gehört! Und wenn doch: das sind doch nur die Ergebnisse von praxisfernen Studien, ausgetüftelt von Gutmenschen, die von den Problemen an der Basis keine Ahnung haben. Bei uns ist das alles ganz anders!
Natürlich zugegeben, nicht jede HR-Abteilung ist mit Top-Performern besetzt. Aber das hat sie mit allen anderen Abteilung gemeinsam.
Bei allem Respekt:
diese zur Ignoranz und Beratungsresistenz neigende Arroganz von einigen Führungskräften ist das eigentliche Problem, nicht die vermeintliche Ahnungslosigkeit von HR. Beim Thema Führung geht es in der Tat um die Führungskraft, um deren Selbstverständnis, um den konkreten Menschen und um das Miteinander im Team, in der Abteilung. Um was soll es sonst gehen? Die Auseinandersetzung mit sich selbst ist tatsächlich nicht immer lustig. Aber ist das ein Grund, um auf HR als Funktion einzuprügeln, damit ich mich mit diesen Themen nicht auseinandersetzen muss?
Wie wäre es, wenn sich die Geschäftsleitung, Controlling und HR verbünden, um die Qualität der Unternehmensführung mess- und belastbarbar auf den Prüfstand zu stellen? Identifizieren Sie die Mitarbeiter, die führen wollen und können. Und entfernen Sie die Mitarbeiter aus Führungsfunktionen, die es eben nicht können und/ oder nicht wollen. Sicher gibt es im Unternehmen Aufgaben, in denen die fachliche Expertise dieser Mitarbeiter dringend benötigt wird. Damit wäre dem Unternehmen gedient, den Mitarbeitern und in der Regel auch der Führungskraft selbst.
Die kritische Reflexion des Selbstverständnisses als Führungskraft ist Voraussetzung für Entwicklung und Verbesserung, für persönliches Wachstum. Solange das kritische Hinterfragen allerdings als lästige Einmischung empfunden wird, solange wird sich nichts ändern. Und das ist nicht das Problem der HR-Funktion, es ist das Problem der Führung, der einzelnen Führungskraft. Diesen Widerstand gilt es zu überwinden und die daraus resultierenden Konflikte auszuhalten.
Es ist eben ein sehr schwieriges bis unmögliches Unterfangen, mit Fröschen über die Stilllegung eines Teiches zu diskutieren. Das ist das eigentliche Dilemma der HR-Funktion. Die HR-Funktion ist in ihrer Wirksamkeit abhängig von den Linienverantwortlichen, allen voran von der Geschäftsleitung. Das Commitment der Geschäftsführung ist entscheidend. Solange die Geschäftsleitung das Thema „Führungskultur“ nicht als wichtig erachtet, wird HR mit allen darauf abzielenden „Personalwerkzeugen“ grandios scheitern. Das gilt für strukturierte Einstellungsinterviews über die Mitarbeitergespräche bis hin zu 360-Grad-Feedbacks für die Führungskräfte.
An der Qualität der HR-Arbeit lässt sich die tatsächliche Bedeutung des Erfolgsfaktors „Führung“ im Unternehmen sicher ableiten. An dem gern zitierten und oft inhaltsleeren Satz „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“ kann man das nicht. Der „zaubert“ höchstens ein resigniertes Schmunzeln in die Gesichter der Mitarbeiter.
Dafür, dass es auch anders geht, gibt es im Mittelstand viele Beispiele. Ich denke da nur an die Sick AG in Waldkirch, die J. Schmalz GmbH in Glatten bei Freudenstadt oder aber an einen echten Pionier in dieser Hinsicht, die allsafe JUNGFALK GmbH & Co. KG in Engen. Vor rund einem Monat hatte ich das Vergnügen, den Geschäftsführer von allsafe JUNGFALK, Herrn Detlef Lohmann, bei einer Podiumsdiskussion bei unserem Partner, dem Weltethos Institut in Tübingen zu hören. Er berichtete dabei von seinen Erfahrungen zum Thema Führung, die er in seinem Buch „ ….Und mittags geh‘ ich heim“ dargelegt hat. Sehr spannend. Er hat sich übrigens mit keiner Silbe über seine Personalleute beschwert.
Eines ist allen diesen Unternehmen gemeinsam: die Geschäftsleitungen haben die Bedeutung des Thema tief verinnerlicht und handeln entsprechend. Sie treiben ihre die HR-Abteilungen zu Höchstleistungen an, anstatt sich von diesen gängeln oder treiben zu lassen.
Welche Erfahrungen haben Sie mit HR und deren Verhältnis zu operativen Führungskräften?
Es grüßt Sie herzlich aus Rottenburg
Michael Kohlhaas