Die klassische Volkswirtschaftslehre betrachtet seit Adam Smith die Faktoren Arbeit, Kapital und Boden. Neuerdings werden häufig auch Wissen (Humankapital) oder die Führung eines Unternehmens als volkswirtschaftlicher Produktionsfaktor angesehen. Je knapper solche Produktionsfaktoren sind, desto sorgfältiger werden sie gehegt und gepflegt. Für Mitarbeiter und Mitarbeiterführung werden also goldene Zeiten anbrechen. Für schwache Führungskräfte wird es ein eher hartes Brot. Und das ist auch gut so, sowohl für die Mitarbeiter als auch für den Unternehmenserfolg.
Bei der Vorbereitung zu einem Workshop zum Thema Change Management und mitarbeiterorientierte Führung stieß ich auf einige bemerkenswerte Informationen. Um 1800 wurde bei uns in Deutschland die Dampfmaschine eingeführt und damit begann die Industrialisierung der Arbeitswelt. Dadurch entstanden vermehrt schwere Arbeitsunfälle. Die Arbeitgeber waren zunächst der Meinung, die Arbeitnehmer seien alleine für diese Unfälle verantwortlich. Ihr Ratschlag: passt besser auf. Die entstehenden Gewerkschaften hatten dazu eine andere Meinung. Sie forderten entsprechende gesetzliche Vorgaben.
Im Jahr 1828 berichtete der preußische Generalleutnant von Horn an die Preußische Regierung, dass man bei Musterungen von Rekruten in Fabrikbezirken – infolge der verbreiteten Nachtarbeit der Kinder – eine hohe Zahl Untauglicher angetroffen habe. Das gab den Anstoß zu einer staatlichen Sozialpolitik.
1839 wurde das Preußische Regulativ eingeführt. In diesem Gesetz wurde die Kinderarbeit unter neun Jahren verboten. Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr durften nur zehn Stunden pro Tag arbeiten. Eine Institution, die dieses Gesetz überwachte, wurde nicht eingeführt.
Um 1847 wurden auf freiwilliger Basis die Lokalkommissionen gegründet. Sie hatten nur eine beratende Funktion und bestanden auf lokaler Ebene aus dem Ortsvorsteher, dem Pfarrer, dem Arzt, dem Fabrikunternehmer und einem Arbeiter. Erst im Jahr 1853 wurden vom Staat die Fabrikinspektoren eingesetzt. Hierdurch wurde der Grundstein zur Gewerbeaufsicht gelegt. Parallel dazu wurde in der preußischen Gewerbeordnung die Sonn- und Feiertagsarbeit untersagt.
Dieser kleine Ausflug in die Historie mag genügen, um einige grundlegende Erkenntnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen zum Change Management zu untermauern:
- Es braucht einen Leidensdruck, um Veränderungen zu initiieren;
- Veränderungen, vor allem tiefgreifende Veränderungen, brauchen Zeit;
- Veränderungen passieren nicht, sie werden aktiv betrieben;
- Es gibt gerade zu Beginn von Veränderungsprozessen zum Teil beträchtliche Widerstände.
Wir leben aktuell in einer Zeit großer Veränderungen, für die die gleichen Muster gelten:
- Rente mit 67
- Energiewende
- Staatsschuldenkrise/ Eurokrise
- Demographie
- Wertewandel/ Generation Y
um nur einige zu nennen.
Jede Veränderung beginnt mit einer Emotion, meist einem als negativ empfundenen Leidensdruck. Peter Kotter nannte diesen Auslöser in seinem Klassiker „Leading Change“ den sense of urgency, das Gefühl der Dringlichkeit. Es kommt oft von außen, selten in Form eines einmaligen Ereignisses wie zum Beispiel die Atomkatastrophe von Fukushima, die quasi auf einen Schlag eine 180 Grad-Kehrtwende in der Energiepolitik einleitete. „Jetzt muss endlich und ganz schnell etwas passieren.“ Das ist das vorherrschende Gefühl nach einem solchen Ereignis.
Meistens kommen Veränderungen auf ganz leisen Sohlen daher und werden deshalb zu Beginn nicht (intensiv genug) wahrgenommen. Dies gilt selbst dann, wenn die Fakten längst auf dem Tisch liegen. Dazu nur zwei Beispiele:
- Stichwort: Staatsschuldenkrise. Seit über 40 Jahren gibt die öffentliche Hand mehr Geld aus, als sie einnimmt. Kennen Sie auch nur ein einziges Unternehmen, bei dem dies der Fall ist?
- Stichwort: Rente. Seit Mitte der 60er Jahre, dem Ende der Babyboomer-Generation, verschiebt sich das Verhältnis der Zahl der Rentenempfänger zur Zahl der Beitragszahler in die Rentenversicherungssysteme zu Lasten der Beitragszahler. Gleichzeitig tritt die junge Generation später ins Erwerbsleben ein und die Lebensdauer der Rentenempfänger steigt kontinuierlich weiter an. Kann unter diesen Umständen bei der Rente alles bleiben wie es heute ist?
Ignorieren und Widerstand leisten gegen das Unvermeidliche sind am Ende des Tages keine Option. Niemand hat es m.E. treffender formuliert als seinerzeit Gorbatschow: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“.
Bei den Themen Führungskultur und Fachkräftemangel in Folge der demographischen Entwicklung stehen wir wieder an einer solchen Schwelle der Veränderung. Dass eine zeitgemäße Führungskultur einen herausragenden Einfluss auf Mitarbeiterengagement und Mitarbeiterbindung und somit auf hervorragenden Unternehmenserfolg hat, ist keine neue Erkenntnis. In Zeiten einer zunehmenden Knappheit von Fach- und Führungskräften gewinnt das Thema aber eine ganz andere Brisanz. Wenn zudem noch ein Wertewandel, wie es bei der Generation Y der Fall ist, hinzutritt, dann wird es für einige Unternehmen erfolgskritisch, wenn nicht gar überlebenswichtig.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir mit großem Einsatz öffentlicher Mittel Menschen aus dem Arbeitsleben gedrängt haben. Finanziell gefördert wurde die Altersteilzeit von der Agentur für Arbeit, soweit sie spätestens am 31. Dezember 2009 angetreten wurde und der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt das 55. Lebensjahr vollendet hat.
Mit wiederum enormem Aufwand aus öffentlichen Mitteln fördern wir mittlerweile das Gegenteil. Unter der Überschrift „Fachkräfte sichern“ gibt es eine Vielzahl von Gesetzesvorhaben, Initiativen, Förderprogramme u.v.a.m., um das Problem der sinkenden Zahl der Erwerbstätigen zu beherrschen:
- Abschaffung des Ehegattensplitting
- (gesetzliche) Frauenquote
- Kita-Plätze
- Initiative Vereinbarkeit Beruf und Familie
- ddn – Das Demographie-Netzwerk
- unternehmensWert:Mensch
sind nur einige wenige prominente Beispiele hierfür.
So paradox es klingen mag: das Zusammentreffen der o.a. Entwicklungen, also Führungskultur, Fachkräftemangel und Wertewandel ist nicht nur krisenhafte Bedrohung. Es steckt wie in jeder Krise auch die Chance darin: die Hoffnung auf eine stärkere Aussöhnung von Ökonomie und menschengerechter Arbeit. Diese wird maßgeblich durch eine zeitgemäße und herausragende Führungskultur befeuert.
Der Leidensdruck auf schwache Führungskräfte wird steigen. Die Zeiten von selbstherrlichen Vorgesetzten, die ihre Mitarbeiter mittels Informationsvorbehalt führen, in ihrer persönlichen Entwicklung nicht nur nicht fördern, sondern oft behindern, die Reflexion für einen Begriff ausschließlich aus dem Bereich der Optik und Akustik halten, neigt sich dem Ende zu. Und das ist auch gut so.
Transparenz, Offenheit, Partizipation und messbare Qualitätsstandards beim Thema Unternehmensführung halten verstärkt Einzug in die Diskussion.
Die ins Erwerbsleben nachrückende Generation Y wird den Druck erhöhen. Und schon sind sie wieder da, die Widerstand leistenden Stimmen, die die jungen Leute als verwöhnte „Weicheier“ diskreditieren. Es zeigt sich darin die Richtigkeit der „Vier Seiten einer Nachricht“ von Schultz von Thun: die Kritik beschreibt den Kritiker oft mehr als die Kritisierten.
Prof. Dr. Jutta Rump brachte es in einem lehenswerten Interview („Die Ochsentour hat ausgedient“, Jutta Rump über die Generation Y, FAZ vom 8./9.06.2013) auf den Punkt:
„Das bedeutet aber einen viel engeren Kontakt und mehr Aufwand für Vorgesetzte und Personalmanager.
Ja, das ist sehr zeitintensiv. Die junge Generation fordert offen Feedback ein – und nicht nur zur eigenen Arbeit. Wenn ich morgens mit finsterer Miene durchs Institut renne, weil ich über irgendwas nachdenke, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich wenig später meine Mitarbeiter nach dem Grund für meine schlechte Laune erkundigen. Ich muss mich also auch permanent selbst im Blick haben und mein Verhalten nachvollziehbar machen. Wenn ich eine einsame Entscheidung treffe, weiß ich genau, dass meine Mitarbeiter zumindest im Nachhinein Transparenz erwarten. Das kostet richtig Zeit und auch eine gewisse Reflexionsfähigkeit.
Sind Führungskräfte darauf vorbereitet?
Das ist genau der wunde Punkt: In vielen Fällen sind sie es nicht. Wir wissen, dass die junge Generation einen Arbeitgeber nach Reputation auswählt und nach möglichen Entwicklungsmöglichkeiten – und dass sie das Unternehmen häufig wegen der Führungskräfte wieder verlässt. Ein Fachexperte hat eben nicht automatisch die nötige Sozialkompetenz für diese führungsintensive Generation.
Kündigen die Jungen schneller?
Wenn berufliche Alternativen da sind: ja. Die Toleranzgrenze liegt bei rund einem halben Jahr. Wenn dann die Motivation verlorengegangen ist, werden Konsequenzen gezogen, und es folgt die Kündigung. Bei den Babyboomern liegt die Schmerzgrenze bei zwei oder drei Jahren.
Werden Arbeitgeber zu Bittstellern?
Ganz so schlimm wird es nicht, aber die Gewichte verschieben sich. Ich habe früher fünf Minuten am Ende eines Bewerbungsgespräches eingeplant, in der die Kandidaten Fragen zu mir und zur Hochschule stellen konnten. Heute sind das schon zwanzig Minuten.
Und die werden auch genutzt?
Oh ja. Neulich hat ein Bewerber eine Checkliste herausgeholt. Ich hatte darauf eine Spalte neben vielen anderen Arbeitgebern. Dann wurden alle Punkte abgearbeitet. Am Ende hat er sich zurückgelehnt und gesagt: „Frau Rump, ich glaube, Sie kommen in die engere Auswahl.“ Und das war eine studentische Hilfskraft.
Wie haben Sie reagiert?
Erst war ich baff, später habe ich ihn eingestellt.“
Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt werden sich in diese Richtung drehen. Nicht mehr bewerben sich nur Mitarbeiter bei Unternehmen. Immer öfter werden sich auch Unternehmen bei Mitarbeitern bewerben.
Und die jungen Leute bedienen sich bei den (Vor-) Auswahlentscheidungen der Mittel, deren Umgang sie perfekt beherrschen: soziale Netzwerke und Job-Bewertungsportale wie kununu.
Auch bei den Job-Bewertungsportalen spielen Kommunikation, Verhalten von Führungskräften etc., also Aspekte der Führungskultur eine erhebliche Rolle.
Ist Ihre Führungskultur zeitgemäß und auf die neuen Herausforderungen eingestellt?
Herausragende Führung zeitigt herausragende Ergebnisse – und bindet gleichzeitig die besten Fach- und Führungskräfte an Ihr Unternehmen.
Herzliche Grüße und viel Freude bei der Umsetzung
Ihr
Michael Kohlhaas