„Bad Practice“, so lautet eine Artikelreihe von Prof. Dr. Uwe Peter Kanning im Coaching-Magazin, in der er regelmäßig diverse Coaching-Ansätze einer kritischen Betrachtung unterzieht. Immer geht es dabei um den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit – oder besser gesagt: fehlenden Nachweis der Wirksamkeit – dieser Ansätze. Und so nimmt sich Kanning meist mit spitzer und ironischer Feder Coaching-Ansätzen an, denen die wissenschaftliche Fundierung ebenso fehlt wie ein evaluierter Wirksamkeitsnachweis. Nicht selten sind bei den fraglichen Ansätzen Tiere im Spiel.
Typisch ist eine Geschichte über Coaching mit Eseln, die seinerzeit in spiegelonline veröffentlicht wurde: https://tinyurl.com/y7knla5b. Um ehrlich zu sein: Nach Lektüre des Artikels war mir immer noch nicht ganz klar, welche Präposition die Richtige ist. Muss es heißen:
- Coaching mit Eseln,
- Coaching an Eseln,
- Coaching durch Esel,
- Coaching für Esel?
Vielleicht mögen Sie sich selbst ein Urteil bilden. Jedenfalls heißt es in dem Artikel u.a.: „Esel sind eigentlich wie Mitarbeiter: Sie sind halsstarrig, wollen gelobt werden und mögen es nicht, wenn der Chef am Halfter zerrt.“
Interessantes Menschenbild im Umkehrschluss: Mitarbeiter sind halsstarrig, wollen gelobt werden und mögen es nicht, wenn der Chef an ihnen „zerrt“ – sie sind eigentlich wie Esel. Die Mitarbeiter, die entsprechend diesem Menschenbild „geführt“ und auch sonst wahrscheinlich wie Esel behandelt werden, freuen sich sicher ob dieser Behandlung ein Loch in den Bauch und gehören wahrscheinlich zu den hochmotivierten Top-Performern in jedem Betrieb.
Ich lehne mich mal aus dem Fenster: Welch ein groteske Vorstellung, wenn ein
solches Coaching ernsthaft als geeignete Maßnahme für den Transfer zur
Menschenführung in Erwägung gezogen werden sollte.
Der Autor bringt es
diplomatischer auf den Punkt: „Wem ein Coaching allerdings zu teuer ist, der
kann es ja mal im Streichelzoo versuchen.“
Bad Practices gibt es natürlich nicht nur im Coaching, sondern auch beim
Thema Führung.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich die nachfolgende
Aufzählung keinesfalls als Bad Practices verstanden wissen möchte. Es sind
vielmehr Führungsansätze und Teilaspekte von Führung, die zum Teil wie
Allheilmittel angepriesen werden:
- Feelgood Manager
- Demokratische Führung
- Holakratie
- Abschaffen von Hierarchien
- Wahl von Führungskräften anstatt Vor-Gesetzte
- Etc.
Manche dieser Ansätze sind so schrill und utopisch, dass sie von Experten schnell in der Luft zerrissen werden. Vielfach zu Recht. Bei einigen Verrissen weiß man allerdings nicht so recht, es bleiben Zweifel. Denn auch bei Experten handelt es sich nur um Menschen, die irrtumsanfällig sind.
Nur zwei Beispiele (von hunderten 😊):
- „By 2005 or so, it will become clear that the Internet’s impact on the
economy has been no greater than the fax machines.”
Paul Robin Krugman, 1998 (* 28. Februar 1953 ist ein US-amerikanischer Professor für Volkswirtschaftslehre an der Princeton University)
- „There’s no chance that the iPhone is going to get any significant market
share. No chance.”
Steve Ballmer, 2007 (* 24. März 1956; Steve Ballmer ist ein US-amerikanischer Manager. Er war von 2000 bis 2014 CEO des Softwareunternehmens Microsoft.)
Von daher ist durchaus – auch bei scheinbar kruden Ideen – eine gewisse offene Neugier angebracht. Dies gilt umso mehr, je „vuca“ (volatil, uncertain, complexe, ambigious) sich die Welt darstellt. Das lehren uns auch die agilen Methoden: nicht lange und bis ins letzte Detail planen, sondern ganz früh ins Handeln kommen und experimentieren.
Wer allerdings glaubt, dass all diese (agilen) Ansätze wirklich neu sind, dem seien die folgenden Zitate zur Reflexion empfohlen:
- „Habe deine Zwecke im Ganzen vor Augen und lasse dich im Einzelnen durch
die Umstände bestimmen.“
(Johann Wolfgang von Goethe)
- „Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das erste
Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus.“
(Helmuth von Moltke, Generalfeldmarschall. 1800 bis 1891. Wegen der vielen Unwägbarkeiten im Krieg hielt er nur den Beginn eines Feldzuges für planbar).
Neben diesen Erscheinungen kommt es zusätzlich auch immer wieder zu Neu-Auflagen von bewährten Ansätzen. Insofern ist Mode nicht auf die Bekleidungsindustrie beschränkt. Es gibt sie auch bei Management-methoden. Das ist dann wie alter Wein in neuen Schläuchen: neues Etikett drauf und schon läuft es wieder.
Apropos Wein: Dieser Tage las ich in der FAS vom 23.12.2018 unter der
Überschrift „Die Ausbreitung des Terroirismus“ folgenden Satz, der das eben
Geschriebene unterstreicht:
„Dieser Wein besticht durch seine agile
Schiefernote mit einem leicht fruchtigen Einschlag von Muschelkalk“ wird Fritz
Keller, deutscher Winzer, Weinhändler, Gastronom, Hotelier und Fußballfunktionär
aus der Nähe von Freiburg zitiert. Da spielt es keine Rolle, dass
Naturwissenschaftler es definitiv ausschließen, dass Gestein den Geschmack
prägen könne. Und dann die „agile Schiefernote“: Was soll das sein? Wie stellt
man sie fest? Eine Fata Morgana des Marketing: Gut gebrüllt,
Löwe.
Was dem einen das Wort „Agil“, ist dem anderen das „Silicon Valley“. Sobald man irgendetwas mit dem Namen dieses magischen Ortes verknüpft, setzen bestimmte Prozesse im Hirn aus, insbesondere das kritische Hinterfragen. Ein Beispiel hierfür ist die vermeintlich neue OKR-Methode. Bezeichnenderweise gibt es hierzu natürlich auch schon ein OKR-Buch mit dem passenden Namen: „Führen wie im Silicon Valley mit Objectives and Key Results“.
Dass die „Methode“ in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts als Management by Objectives (MbO) von Peter F. Drucker entwickelt wurde, stört beim Wechsel des Etiketts dann schon nicht mehr. Im Gegensatz zum eingangs erwähnten Beispiel des „Esel-Coachings“ ist in diesem Falle tröstlich, dass es sich bei MbO (oder meinethalben auch OKR) nach arbeits- und organisationspsychologischen Erkenntnissen um eine Form transaktionaler Führung handelt, deren Wirksamkeit empirisch gut belegt ist.
So bleibt mir am Schluss nochmals ein Hinweis auf Peter F. Drucker, dessen nachfolgendes Zitat ich mir immer wieder einmal vor Augen führe, wenn es mir darum geht herauszufinden, was wirklich substanziell neu an einem Ansatz ist:
„Die fundamentale Aufgabe des Managements bleibt dabei stets dieselbe: Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, durch gemeinsame Ziele, gemeinsame Werte, die richtige Struktur und die richtige Anleitung in der Bewältigung von Veränderungen gemeinsam Leistung zu erbringen.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gute Gedanken, produktives Handeln und
ein erfolgreiches Jahr 2019.